Welche Managementkonzepte scheinen gegenwärtig für nicht gewinnorientierte Organisationen im kulturellen Feld geeignet? Welche Rollenmodelle und welche impliziten Werthorizonte bestimmen die Praxis heutiger Kulturinstitutionen und wie werden diese reflektiert? Unter dem Titel „Interpretieren, arrangieren, Beziehungen stiften – Neue Rollenmodelle und Theorien im Kulturmanagement“ trafen sich am 16. und 17. Januar auf Einladung des Fachverbandes für Kulturmanagement über 60 Vertreter des deutschsprachigen Kulturmanagements in der Zeppelin Universität in Friedrichshafen (ZU), um diese Fragen entlang von acht Experten-Vorträgen, in gemeinsamen Workshops und im Plenum zu diskutieren. Nach den beiden ersten Jahrestagungen in Rendsburg (2006) und an der Universität Hildesheim (2008) war dies die bislang am stärksten besetzte Zusammenkunft des jungen Verbands. Diese Entwicklung ist Ausdruck eines wachsenden Interesses, welches die noch junge akademische Disziplin in der Fachöffentlichkeit hervorruft.
Den Auftakt der gemeinsam von Karen van den Berg (ZU), Martin Tröndle (HfGK Basel) und Rolf Keller (Universität Basel) organisierten Tagung bildete Dirk Baeckers (ebenfalls ZU) Vortrag zu den Zumutungen organisierten Arbeitens im Kulturbereich. Baecker lieferte – ausgehend von der fundamentalen Unterscheidung zwischen Management in gewinnorientierten und nicht-gewinnorientierten Organisationen – eine Systematik, in welcher er Kulturmanagement als Kommunikation über Arbeit, Werte und Entscheidungen, (Kulturmanagement I) bzw. als Kommunikation über Arbeit, Werte, Entscheidungen, Leben, Kunst und Protektion (Kulturmanagement II) beschrieb. Jede dieser Kommunikationen beschrieb Baecker als Zumutung, da man davon ausgehen müsse, dass die Arbeit meist schon wisse worum es ihr geht, die Werte als selbstverständlich gelten, Wahrnehmung (Kunst ist in Baeckers Verständnis Kommunikation über Wahrnehmung) als Privatangelegenheit behandelt werde und Entscheidungen ihre Verankerung in bewährten Traditionen und Routinen haben. Kulturmanagement bedeute daher, diese Zumutungen gegeneinander abzuwägen und durch Verweis aufeinander aufzufangen. Affirmation, Kritik, Subversion erweisen sich in dieser Systematik als die drei Möglichkeiten von Kommunikation.
Günter Ortmann (HSU Hamburg) erinnerte im Anschluss hieran in seinem Vortrag in einer philosophisch-anthropologischen Argumentation an die notwendigen Fiktionen des Organisierens, der ihm zufolge umso größere Bedeutung zukomme, je unsicherer die Verhältnisse scheinen; die Künstlerin Andrea Knobloch präparierte in einer Art historisch angelegtem Manifest, das sie gemeinsam mit Master Studenten der ZU präsentierte, den Wandel künstlerischer Arbeitsorganisation und Handlungsprämissen heraus: Kunst im Organisationswald: Vom Überleben in nährstoffarmen Milieus. Pierre Guillet de Montoux (Stockholm University) entwarf ‚singender‘ Weise ein Bild gegenwärtiger Projekte, die sich mit Aesthetic Leadership als kunstvoller Management-Praxis befassten, wobei er die ca. zehnjährige Diskussion um Cultural industries sowie die Debatten um die Interdependenzen zwischen Management und Kunst am Beispiel zentraler Publikationen rekapitulierte.
Hermann Voesgen (FH Postdam) beleuchtete selbstkritisch kulturmanageriale Rollenbilder mit dem Verweis auf die eigene Verwicklung in kulturelle Überproduktion und Banalisierung. Voesgens idealtypisches, abweichend vom Vortragstitel (Ermöglichen, vermitteln, gestalten – die drei Leben eines Kulturmanagers) binäres Modell differenzierte zwischen dem Kulturmanager als Sachbearbeiter bzw. Verwalter und dem Kulturmanager als Gestalter bzw. Zerrissenem. Der eine verschreibe sich in einer dienenden Funktion der Optimierung kulturbetrieblicher Prozesse und Strukturen, der andere verstehe sich als Teil eines kreativen Prozesses. Angesichts gesamtgesellschaftlicher Verschiebungen plädierte Voesgen für ein Ausbrechen aus der Angebots- und Produktionserweiterungsspirale, was auch eine Verabschiedung des affirmativen Kulturbegriffs bedeute, dem im Kulturmanagement weitgehend zugearbeitet werde.
Matthias Kettner (Universität Witten/Herdecke) beschloss den ersten Tag mit nachdenklichen Anmerkungen – Zwischen Management und Governance – Braucht Kulturmanagement eine Reflexionstheorie? – zur Verwissenschaftlichung des Fachs im Anschluss an Oevermanns Professionalisierungstheorie, wobei er sich gleichermaßen kritisch mit der Nutzenmaximierungssemantik Armin Kleins wie mit der Governance-Semantik in der Kulturpolitik (hier am Beispiel einer Rede von Oliver Scheytt) auseinandersetzte. Professionalisierungsbedürftigkeit, so Kettner, bestehe insoweit, als ein erprobtes systemisches Wissen grundlegend sei um ein robustes Arbeitsbündnis mit den Klienten zu begründen.
Am Samstagvormittag analysierte Volker Kirchberg (Universität Lüneburg) Wertesysteme im Konfliktfeld zwischen Kultur und Betrieb – Eine Typologie der Kulturmanager und entwickelte eine Systematik, die das Konfliktfeld kulturmanagerialen Handelns zwischen Kultur und Wirtschaft aufspannte. Auf der Basis von vier Theorie-Modellen entwickelte Kirchberg eine Matrix bzw. ein soziales Feld zwischen Anti-Kapitalismus und Kapitalismusunterstützung, zwischen Geschäftswert-Dominanz und Kulturwert-Dominanz. Eine von ihm vorgestellte Kreuztabelle zeigte entsprechend vier Modelle: das marxistisch-materialistische mit dem Ziel, Kunst und Künstler durch soziale Protektion zu schützen (1), das Adorno-Modell, welches den Künstler vor der Sphäre des Ökonomischen insgesamt zu bewahren suche (2), das Peterson/Brooks-Modell, das für eine Übernahme der ökonomischen Regeln in den Bereich der Kunst und Kultur plädiert und einen Einfluss der Wirtschaft auf die Kunst konstatiert (3) und das Boltanski/Ciapello-Modell einer Übertragung der Kunst in das Feld der Wirtschaft, wonach die Kunst die Wirtschaft beeinflusse (4).. Kirchberg schlug vor, dies als Rahmen zu betrachten, in dem sich Handlungsoptionen modernen Kulturmanagements entwerfen lassen – auch im Sinne der o. g. Typologie.
Der abschließende Vortrag von Birgit Mandel (Universität Hildesheim) konstatierte eine Sackgasse, in der das Fach stecke, wurde doch eine Profilierung als Disziplin bislang versäumt. Unter dem Titel Vom Kunstinstitutionen-Manager zum Unternehmer, Mittler und Gestalter. Alte Glaubenssätze, neue Herausforderungen und Konsequenzen für die Kulturmanagement-Forschung wandte sich Birgit Mandel neuen Rollenbildern im Kulturmanagement zu. Ausgehend von neuen gesellschaftlichen Herausforderungen, aus denen sich neue Finanzierungsmöglichkeiten, neue Zielgruppen und eine verstärkte Lobbyarbeit ergeben, wandele sich das Rollenmodell des Kulturmanagers bzw. der Kulturmanagerin vom Angestellten in öffentlichen Organisationen zum (selbständigen) Kulturunternehmer – deutlich in der Gegenüberstellung vom Cultural Entrepreneur zum Arts Manager –; vom Diener der Kunst zum Mitgestalter im Prozess kollektiver Kreativität; vom Kulturorganisator im Kulturstaat zum Gestalter kultureller Kontexte in der Kulturgesellschaft. Der Kulturmanager müsse, so die Prognose Mandels, unterschiedliche Rollenbilder internalisieren: Er bzw. sie müsse als Unternehmer/in denken, also Bereitschaft zeigen, Verantwortung zu übernehmen und eigeninitiativ neue kulturelle Ideen zu entwickeln und durchzusetzen. Er/sie müsse im Rollenbild des Gestalters kulturelle Kontexte formen sowie Rahmenbedingungen von Kunst vor dem Hintergrund künstlerischer Denk- und Handlungsmuster entwickeln. Und schließlich müsse der Kulturmanager bzw. die Kulturmanagerin als Politiker/in kultur- und gesellschaftspolitisch denken und Kunst und Kultur vor dem Hintergrund eigener Visionen initiieren und ermöglichen.
Zum Abschluss der Tagung wurde im Rückgriff auf die Workshopergebnisse vom Vortrag nochmals sehr lebendig und in offener Atmosphäre über die Ausrichtungsmöglichkeiten kulturmanagerialen Forschens diskutiert, wobei der Fokus immer wieder auf die Frage nach dem Verhältnis zur Praxis gerichtet wurde. Für die nächste Jahrestagung in Wien wurden, ausgehend von den Diskussionen in Friedrichshafen, zum einen Fragen der Lehrplangestaltung von den Lernzielen über die Qualitätssicherung und die Kompetenzen bis zu den Methoden vorgeschlagen. Zum anderen wurden Einzelthemen kulturmanagerialen Forschens, also Forschungsfragen, Forschungsansätze und Forschungsmethoden in Relation zu den jeweiligen Bezugsdisziplinen avisiert.
Die Beiträge der Tagung in Friedrichshafen sollen im Jahrbuch für Kulturmanagement veröffentlicht werden.