Man muss nicht das Stereotyp vom dreifachen Ghetto Prag bemühen (Pavel Eisner), um auf die vielfältigen kulturellen und intellektuellen Interdependenzen zwischen Deutschen, Tschechen, Slowaken, Juden u.a. in Prag und den Böhmischen Ländern zu verweisen. Tatsächlich bildet Prag seit dem späten 18. Jahrhundert einen intellektuellen Mikrokosmos, in dem sich nicht nur kultur- und wissenschaftspolitische Entwicklungen und Konflikte der gesamten Habsburger Monarchie fokussieren, sondern in gewisser Weise verkörpert Prag die Phänomenologie der ostmitteleuropäischen Kulturstadt, die zwischen 1938/39 und 1945 untergegangen ist.
Entsprechend wirkten in Prag Intellektuelle nicht nur im engeren akademischen Rahmen, sondern suchten immer auch Anbindung an kultur- und wissenschaftspolitische Diskurse bzw. initiierten diese. Aufgrund der „multikulturellen“ Determinanten finden sich in Prag besondere Voraussetzungen für intellektuelle Diskurse und Kontexte, die ihre prägende Bedeutung nicht nur auf die Stadt, sondern auf die Böhmischen Länder bzw. die Tschechoslowakei, aber auch über Habsburg hinausgehend auf Mitteleuropa insgesamt entfalten konnten. In dem Projekt sollen die vielfältigen kulturpolitischen Diskurse sowie die damit verbundenen Institutionalisierungsstrategien um 1900 untersucht werden.